Lesung Grzesinski
Historiker rückt wehrhaften Demokrat in den Fokus
Im Polizeipräsidium sprach Prof. Dietfrid Krause-Vilmar über Albert Grzesinski. Und machte deutlich, wieso der heute oft unbekannte preußische Innenminister der Weimarer Republik als Vorbild gelten kann.

In einem waren sich Prof Dietfrid Krause-Vilmar und Polizeipräsident Markus Röhrl am Donnerstag, 01.06.2023, einig: Albert Grzesinski, in der Weimarer Republik von 1925 bis 1926 und von 1930 bis 1932 Polizeipräsident in Berlin und von 1926 bis 1930 preußischer Innenminister, hätte seine Freude an der Polizei von heute gehabt. „Unsere innere Verfasstheit, unsere Bürgerpolizei, die die Bürgerinnen und Bürger vor Verbrechen schützt und dies immer mit der Achtung der Menschenwürde verbindet“ – dies alles komme den Vorstellungen Grzesinskis sehr nahe, skizzierte Markus Röhrl zur Begrüßung im Saal 300 des Polizeipräsidiums in Wuppertal.

Hierhin waren rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer gekommen, um bei einer Lesung anlässlich der Veranstaltungsreihe „Vor 90 Jahren: Die Nationalsozialisten kommen an die Macht“ mehr über Albert Grzesinski zu erfahren. Prof. Dietfrid Krause-Vilmar, Historiker aus Kassel, der intensiv zum Leben und Wirken Grzesinskis geforscht hat, erwies sich nicht nur als fundierte Informationsquelle, sondern auch als leidenschaftlicher Kämpfer gegen das Vergessen des überzeugten Demokraten. „Es ist mir ein Anliegen, sein Werk bekannt zu machen“, stellte Krause-Vilmar klar. Unterstützt wurde er dabei von Schauspieler Olaf Reitz, der aus den Reden Albert Grzesinskis zitierte und es vermochte, ihnen mit eindrücklicher Stimme und viel Energie echtes Leben einzuhauchen.

Polizei sollte "Hüter der Verfassung" sein

So gelang es, Albert Grzesinski als den zu präsentieren, der er war: ein gelernter Metalldrücker, Gewerkschaftsfunktionär, Sozialdemokrat und Politiker – vor allem aber ein glühender Demokrat, ein Patriot der Weimarer Verfassung und ein Visionär, der nicht nur früh die akuten Gefahren für die Weimarer Republik erkannte, sondern der mit seinen Reformen moderne Maßstäbe setzte.

Mitten in den Wirren der unruhigen Zwanziger Jahre, in denen sich die junge Weimarer Demokratie Feinden von links und rechts ausgesetzt sah, trat er als ihr Verteidiger auf. Grzesinski republikanisierte und demokratisierte die Polizei und verwandelte das bis dato obrigkeitsstaatliche Organ in eine bürgernahe Polizei. Seiner Auffassung nach musste die Polizei „Hüter der Verfassung“ sein. Er forderte politisch gebildete und rechtsstaatlich gefestigte Polizisten. Jeder Einzelne von ihnen müsse Bollwerk gegen Angriffe auf die Verfassung sein, die Grzesinski als „freieste Verfassung der Welt“ ansah.

Wie modern Grzesinski für seine Zeit war, zeigt sich beispielhaft auch in seinem Verständnis für den Einsatz der Schusswaffe, den er nur in Extremsituationen – gewissermaßen als Ultima Ratio – befürwortete. Ein Grund sei, dass es nach seiner Überzeugung keine „inneren Feinde“ gebe und ein Gelingen der Demokratie nur möglich sei, wenn alle Beteiligten einsähen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Gleichwohl, das war auch Albert Grzesinski bewusst, könne die Verteidigung der Verfassung nicht alleinige Aufgabe der Polizei sein.

Wie wenig wehrhaft die Demokratie ohne Persönlichkeiten wie Albert Grzesinski war, zeigte sich spätestens drei Jahre nach seinem Rücktritt aus persönlichen Gründen als preußischer Innenminister mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Über Adolf Hitler hatte Grzesinski gesagt, er könne nicht verstehen, dass dass dieser „nicht mit der Hundepeitsche aus Deutschland hinausgejagt wurde“.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110